Im Transformationsmanagement sind die neutrale Rolle, der stetige Blick aus der Meta-Ebene und die (stetige) Reflexion zentrale Erfolgsfaktoren. Dennoch ist man nicht davor bewahrt, dass ein Projekt stagniert oder (noch schlimmer) zu scheitern droht. Sagen wir, dass das Gefühl aufsteigt, dass es nichts wird oder nichts werden kann. Seit einiger denke ich über eine Art Checkliste nach, um Fallstricke (vielleicht prophylaktisch) zu erkennen. Auf der Agile Ruhr 2023 ist in einer tollen Session eine erste Checkliste entstanden.

Gefühlt 100 Jahre Transformationserfahrung. 😊

Kennst du das Gefühl? Die Ungeduld oder die Sorge, dass es nicht weiter geht/gehen kann? Die Sorge, etwas zu übersehen? Ich kenne es sehr gut. Deswegen habe ich meine Projekte immer vor Augen und gehe sie (vor dem inneren Auge) regelmäßig durch. Dennoch ist es unvermeidbar, dass mich hin und wieder eine Resignation in Beschlag nimmt, aus der ich mich nur mit Aufwand und viel Energie befreien kann. Um wieder klar und aus neuen Richtungen zu sehen, suche ich nach Sparring, wenn es möglich ist. Seit einiger Zeit denke ich daran, mit einer Checkliste zu arbeiten, die sich mit jedem learning erweitert und vorallem hilfreich ist, aus der emotional-negativ geladenen Stimmung herauszukommen. Checklisten sind ein einfaches und hilfreiches tool, weil sie auf die Sachebene bringen und sicherstellen, dass man alles auf dem Schirm hat. Schließlich wird in jedem Cockpit mit Checklisten gearbeitet und das aus gutem Grund.

Wenn sich nun auf einem BarCamp wie die Agile Ruhr 2023 gefühlt > 100 Jahre Agile Transformationserfahrung treffen (in Summe betrachtet 😊), ist es doch die beste Gelegenheit, um genau das in einer Session zu diskutieren. Also habe ich kurzerhand eine Session ins Leben gerufen, um die Frage – woran scheitern (agile) Projekte? – zu diskutieren und Erfahrungen zu tauschen. Das Wertvolle ist, dass Menschen aus total unterschiedlichen Settings und mit vielfältigem Erfahrungshintergrund aus der Praxis berichten. Vom Konzern zum kleinen Betrieb, vom Newbie bis zum Transformationscrack. Und was soll ich euch sagen? Es war derart wertvoll, dass ich die Ergebnisse unbedingt mit euch teilen muss.

Woran scheitern Agile bzw. Transformationsprojekte?

Erkenntnisse aus dem prallen Leben einer Arbeitswelt im Umbruch:

  • Konzept prüfen und überdenken. Passt das Konzept und der Rahmen so wie gedacht oder fehlen wesentliche Aspekte? Es lohnt sich, beides zu prüfen, denn es kann gut sein, dass man (zu) idealistisch oder unter Zeitdruck von A nach B kommen wollte.
  • Fehlendes Know-how. Natürlich kann es sein, dass das Wissen und die Skills fehlen, um eine bestimmte Frage/Anforderung zu beantworten oder zu lösen. Erkennen und Know-how einholen.
  • Fehlendes Zielbild. Wenn man das (Reise-) Ziel nicht vor Augen hat, kommt man nie an. Das unterschreibe ich sofort. Was sollen sich Menschen unter „Agilität“, „Kulturwandel“ oder „Transformation“ vorstellen? Viel zu abstrakt. Die fehlende „Vision“ beinhaltet gleich 2 Fallstricke. Es fehlt das Zielbild und die Blickrichtung. Denn nur, wenn man das Licht am Ende des Tunnels im Blick hat, steuert man das Licht am Ende des Tunnels an!
  • Fehlendes Commitment. Ein Klassiker, den jede*r von uns kennengelernt hat. Ich würde niemanden raten, ein Projekt zu beginnen ohne Commitment und Rückendeckung aus der Chefetage! Es verhindert schmerzhafte Erfahrungen. Meine ist im Blogartikel Selbstorganisation works… – ein Praxisbeispiel zu lesen.
  • Fehlendes Empowerment. Der Switch von Fremdorganisation zur Selbstorganisation ist kein Selbstläufer! Teams und Mitarbeitende zu stärken, zu ermächtigen und zu befähigen ist ein zentraler und unerlässlicher Baustein. Was Selbstorganisation unbedingt braucht – im Vorschuss quasi – steht in diesem Blogartikel: Was ist Selbstorganisation?
  • Klarheit zur Einflussnahme. Das war ein für mich interessanter Aspekt: Was können wir unmittelbar beeinflussen – und was nicht? Diese (Reflexions-) Frage hatte ich so nicht auf dem Schirm, bisher, finde sie aber ziemlich bedeutsam. Die geschilderte Erfahrung einer Session-Teilnehmerin hat vielen von uns Augen geöffnet. (Vielen Dank!)
  • Unklarer Ausgangspunkt und Erwartungshaltung(en). Irgendwie auch ein Klassiker und dennoch passiert es schnell und immer wieder. Der Stichpunkt „Auftragsklärung“ ist ein heißes Eisen. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass weder der Ausgangspunkt noch die Erwartungshaltung(en) eindeutig sind, oft auch nicht sein können zu Beginn! Oder halt großzügig ausfallen – des Auftrags willens.
  • Vorschnelle Lösungsidee oder Annahmen. Es gab eindrucksvolle Schilderungen über „erlernte Annahmen“. Wir alle sind nicht frei davon! Mein Tipp: Wenn du denkst „iss halt so…“, dann sollten die Alarmglocken schrillen. Im Transformationsprozess hat das nichts zu suchen.
  • Diskrepanz zwischen „brauchen“ und „wollen“. Was Teams/Menschen/Organisationen wollen und was sie brauchen (bspw. um ein Ziel zu erreichen oder um Fortschritt zu erlangen), können 2 sehr unterschiedliche Dinge sein. Dem ist nur eins hinzuzufügen: Regelmäßig reflektieren. Aus unterschiedlichen Blickrichtungen betrachten. Evtl. Zukünfte durchsprechen.
  • Rudimentäre Kommunikation und -wege. Miteinander reden und suffiziente Kommunikationswege schaffen ist die halbe Miete! Aus der Session nehme ich mit, dass die „Altlasten“, also die topp-down-Einbahnstraßen-Kommunikation des Industriezeitalters tiefer sitzt, als wir denken. Die Kunst ist eine suffiziente Gestaltung. Suffizient heißt leistungsstark. Also so, dass mit möglichst wenig Zeitaufwand ein maximaler Informationsfluss gewährleistet ist.
  • Insuffizientes Heartmanagement. Frei nach dem Motto „Wir suchen Mitarbeitende – und es kommen Menschen“ wird nach wie vor ausgeblendet, dass ein Projekt oder ein Prozess (generell oder in der Transformation) von Menschen mit Gefühlen und Bedürfnissen getragen, gestaltet und geprägt wird. Weil es so schön war, kam mir der schöne Begriff „Heartmanagement“ in den Sinn. Das ist mein Favorit. Zu diesem Punkt noch 2 learnings von mir: Es gibt Beweger*innen und Bewahrer*innen. Beide sind absolut wichtig! Und jede*r Mitarbeitende hat sein eigenes Entwicklungstempo.
  • Resilienz trainieren. Auch das ein wertvoller Punkt. Um zu verhindern, dass man irgendwo zwischen Erwartungshaltung (die eigene/die von außen) und Erwartungsdruck (der eigene/der von außen) strandet oder zerrieben wird, sollte die Resilienz trainiert und gestärkt werden. In der Session wurde klar, dass va. Newbies davon betroffen sind. Ein Veränderungsprozess ist ein Prozess. Das dauert und es geht nie nur bergauf. Eine simple, aber relevante Tatsache. Ich nehme diese Anregung mit in meine Seminare an der SRH Hochschule. In den Seminaren sprechen wir oft über „Fehlschläge“, „Erwartungshaltungen – und Enttäuschungen. Es nicht als Enttäuschung zu erleben, sondern als Teil des Prozesses halte ich für extrem wichtig. So hatte ich es vor dieser Session nicht gesehen. Jedenfalls nicht in dieser Klarheit.
  • last not least – die spontane Antwort eines Agilisten der „ersten Stunde“:

Dein Transformationprojekt ist gescheitert? Wunderbar!!!

Jetzt gibt es nur eins: Tief Luft holen. Reflektieren. Krönchen richten. Lernen. Weiter geht’s!

Mit anderen Worten: Es gibt gar kein Scheitern. Wir alle sind auf dem Weg nach Neuland. Und wie bei jedem Weg nach Neuland, steht man vor Abzweigungen und macht Umwege. Es gehört einfach dazu! That´s life. Ich wünsche euch good luck auf dem Weg nach Neuland.

Für diesen wertvollen Input danke ich allen Teilnehmenden von ganzem Herzen! 💚