Um selbstorganisiert arbeiten zu können, muss Vertrauen wirksam sein.

Die Forderung nach Selbstorganisation und Eigenverantwortung kommt im agilen Kontext ziemlich selbstverständlich daher. Dass Selbstorganisation alles andere als selbstverständlich ist, spüren Organisationen in der Alltagspraxis ziemlich schnell. Die Themenreihe Selbstorganisation und Agilität brauchen… greift die Grundlagen auf, das Kultursubstrat auf dem Selbstorganisation wachsen und gedeihen kann. Aber auch die Stolpersteine, die Selbstorganisation verhindern. Hier geht es um den Leitwert Vertrauen.

Selbstorganisation ist ein Muster aus der Natur.

Nach dem Muster der Naturwissenschaft ist Selbstorganisation ein System aus einzelnen, autonom agierenden Einheiten, die sich abstimmen, interagieren und synchronisieren.
Auch menschliches Zusammenwirken gestaltet sich gemäß diesem Muster, in der Familie, im Verein und in der Organisation. Selbstorganisiertes Denken und Handeln ist ein lebendiges System, das sich mittels Interaktionsprozess an neue Bedingungen anpasst und erhalten bleibt. Es gestaltet sich selbst, es wird nicht gestaltet.

„So arbeiten wir bis wir den Prozess unterbrechen, um zu versuchen, uns gegenseitig zu kontrollieren.“ (*)

 

Kontrolle und Misstrauen unterbrechen den Prozess.

Mit anderen Worten: Kontrolle und Misstrauen setzen evolutionäre Gestaltungskräfte außer Kraft. Am Beispiel der Ameise ist es nachvollziehbar: Wie erfolgreich wären Ameisen, wenn sie sich gegenseitig misstrauen und kontrollieren würden?

Das Industriezeitalter hat, gestützt von Paradigmen und Kontrollmechanismen der betriebswissenschaftlichen Überzeugung, dass alles plan-, berechen- und messbar sei, evolutionäre Gestaltungskräfte an einer entscheidenden Schnittstelle durchbrochen und das Muster der Selbstorganisation zu Fall gebracht. Dabei sind Strukturen und Prozesse entstanden, die in Fremdbestimmung und Fremdorganisation geführt haben. In diesen ist Selbstorganisation weder vorgesehen, noch kann sie gelebt werden.

Ohne Vertrauen keine Selbstorganisation.

An der entscheidenden Schnittstelle wurde Vertrauen durch Misstrauen ersetzt. Im Industriezeitalter erhielten Kontrolle und Misstrauen – Werte-Antonym zu Vertrauen – einen hohen StellenWERT und sind bis heute handlungsleitend im Alltag; bis heute ist das Prinzip „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ im Denken und Handeln fest verankert. Es wertet Misstrauen und Kontrolle auf und deklariert es als hochwertiges Gut!

Vertrauen, ein Wort, das wahrscheinlich seit dem 15. Jahrhundert existiert und eine der wichtigsten, wenn nicht sogar die wichtigste Ressource im menschlichen Miteinander ist, kennt hingegen kein adäquates Prinzip. Mit anderen Worten: Es gibt kein Glaubensgrundsatz, der Vertrauen als hochwertiges Gut deklariert!

Selbstorganisation ist also kein neues Phänomen. Es ist die Art und Weise wie sich menschliches Zusammenwirken gestaltet – und Vertrauen immanent. Ausschließlich ein Vertrauensvorschuss – in die Menschen und ihre Fähigkeiten –  kann die etablierten Strukturen und Prozesse durchbrechen und Neues entstehen lassen. Der Leitwert Vertrauen ist die Zugangsvoraussetzung für neue Organisationskonzepte und selbst organisierte Systeme.

Fazit: Bevor wir Eigenverantwortung und Selbstorganisation fördern und fordern, ist eine Reform der Vertrauenskultur notwendig. Auf der Skala zwischen Vertrauen und Misstrauen muss der Regler spürbar verschoben werden!

Vertrauen ist Führungsaufgabe!

Wer, außer New Leader, könnte einen solchen Vertrauensvorschuss ein- und eine Reform der Vertrauenskultur auf den Weg bringen?
Der Leitwert Vertrauen. Die wichtigste Schraube im Maschinenraum, weil er nicht nur das Muster der Selbstorganisation wiederherstellt, sondern das Fundament zum Werte- und Kulturwandel bildet. Der Leitwert Vertrauen wird uns weiterhin und in vielfältiger Form begleiten.

Im Praxisalltag gibt es zahlreiche Indizien dafür, dass Agile oder New Leading im Gesamtkonstrukt unterschätzt wird und Vorreiter sowie Vorbilder fehlen. Agilität ist Chefsache! Mit der Themenreihe „New Leadership“ möchte ich Denkanstöße geben, das Führungshandeln im Alltag konstruktiv-kritisch zu reflektieren und aus Reflexionen zu lernen. Aktuell werden Stolpersteine auf dem Weg zur Selbstorganisation beleuchtet und  im weiteren Verlauf der Werte- und Kulturwandel, der als ständiger Gast am Tisch sitzt.

 

(*) Zitat: Wheatley/Kellner-Rogers aus Laloux, F. (2015). Reinventing Organizations.

Der Text beinhaltet Gedanken und Impulse aus diesen Quellen: